Das Konzept der Polymedialität am Beispiel von »Sound of Vladivostok«

Published: 02. June 2019
Category: Arts
Author: Marios Joannou Elia

Das Konzept der Polymedialität entwickelte ich bereits 2003 während der Realisierung des Projekts Strophes – ein Werk, das ich speziell für die Dresdner Aufführung im Foyer der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen komponierte. Hier setzte ich zum ersten Mal zusammen mit meiner Musik zusätzlich das Automobil als kreatives Instrument ein und auch zur ›Unterstützung‹ des Dirigenten: Mit dem Automobil wurden Signale gegeben (u. a. Hupe, Scheinwerfer), was das synchrone Spiel der Musiker ermöglichte.

Sound of Vladivostok wurde in einer wesentlich größeren Dimension und in noch umfassenderem Sinne (für mich im eigentlichen Sinne) polymedial realisiert, als das bei Strophes vierzehn Jahre vorher der Fall gewesen war.

Sound of Vladivostok hatte 2017 in Wladiwostok Weltpremiere und dann Europa-Premiere beim Opening-Event des »Hellas Filmbox Berlin« Festivals, Anfang 2018.

Das Besondere bei der Realisierung dieses Werks stellt die Einbeziehung einer ganzen Stadt dar. Meiner Erörterung des Konzepts der Polymedialität gehen deshalb zunächst ein paar Worte zu Wladiwostok voraus, um zu verdeutlichen, was diese Stadt – und damit auch das Projekt – so außergewöhnlich macht.

 

Dr. Marios Joannou Elia

Dr. Marios Joannou Elia während seines Vortrags am 27. Januar 2018 zum Konzept der Polymedialität, der die Gesprächsreihe »Artist’s Corner« beim »Hellas Filmbox Berlin« Festival eröffnete. 

 

Gegründet wurde Wladiwostok 1860 an einem für das Militär strategisch wichtigen Standort im Fernen Osten Russlands. Von da an war die Stadt das Tor nach Asien. Wegen der vielen Bauten, die ausländische Kaufleute errichten ließen, die sich vor etwa 150 Jahren in Wladiwostok angesiedelt hatten, besitzt die Stadt auch heute noch einen besonderen Jugendstil-Charme. Wladiwostok war als Hauptquartier der sowjetisch-pazifischen Flotte und als Standort wichtiger militärisch-industrieller Einrichtungen jahrzehntelang abgeschottet. Erst 1992, nach Beendigung des Kalten Kriegs, konnte die Stadt sich international öffnen.

Wladiwostoks Charakter machen die dort herrschenden, speziellen Temperaturverhältnisse und Naturphänomene aus. Saisonale Veränderungen beeinflussen die akustische und visuelle Landschaft der Stadt, besonders im Winter. Die mehr als 600 Sound- und Film-Aufnahmen des Projekts entstanden unter extremen klimatischen Bedingungen von bis zu minus 20 Grad u. a. auf dem Eis der »Peter der Große«-Bucht (in riskanten Situationen im zugefrorenen Uferbereich des Japanischen Meeres) und nahe dem Bug eines unruhig im Wasser liegenden Schiffes.

 

Das Konzept der Polymedialität

Das zentrale Konzept meiner Arbeit basiert auf einer qualitativen Polymedialität, die zwei Dimensionen hat:

a) die werkimmanent-kompositorische Polymedialität
und
b) die während der Inszenierung des Werks bestehende Polymedialität.

Was die werkimmanent-kompositorische Polymedialität anbelangt, so werden unkonventionelle Musik- und musikfremde Medien-Elemente zu integralen Bestandteilen der Komposition.
Polymedialität auf der Ebene der Inszenierung des Werks – das bedeutet, dass eine synergetische Interaktion zwischen der Komposition und anderen Kunstformen oder Medien (z.B. Filmmaterial, Architektur) ermöglicht wird.

Auf der Ebene der Komposition beinhaltet Polymedialität auch, dass der Faktor Raum (Innen- und Außenräume) in die musikalische und dramaturgische Gestaltung einbezogen ist. Die Gegebenheiten des Aufführungsortes werden bereits in der Schaffensphase berücksichtigt, was sich auf die Gesamtkomposition des Werks maßgeblich auswirkt.

 

Die werkimmanent-kompositorische Dimension

In Wladiwostok nutzte ich den gesamten Topos (das heißt mehr als 80 Standpunkte an unterschiedlichen Orten in der Stadt) als ›Sound-Fundus‹ für die Realisierung des Projekts. In etlichen Arealen entstanden Sound-, Musik- und Kamera-Aufnahmen, u. a. sowohl im Umfeld der modernen großen Solotoi-Brücke und in einer kleinen Musikerwohnung, die an die Sowjetzeit erinnerte, als auch beim Tokarevsky-Leuchtturm ›am Ende der Welt‹, wo das Land ins Japanische Meer übergeht. Die gesamte Stadt wurde somit Projekt-Landschaft. Ich nahm sie wahr als Polytop mit etlichen Ereignisorten, wo wir an verschiedenen Positionen Sounds und Filmbilder aufzeichneten, die alle für die Komposition maßgeblich waren. Dadurch sind später bei der Aufführung des Werks die ›Stimmen der Stadt‹ vernehmbar und die Filmbilder im unmittelbaren Zusammenhang mit diesen ›Stimmen‹ zu sehen.

Logischerweise stellt sich die Frage: Warum ist das Endergebnis dieser Komposition ein Film und kein Konzert?

Weil eine Aufführung des Gesamtwerks zeitgleich an Dutzenden von Aufführungsorten technisch nicht realisiert werden kann. Zumindest in der Gegenwart; für die Zukunft kann ich mir die Einbeziehung von Satelliten durchaus vorstellen.

All die Stimmen und Klang-Medien, die den Sound Wladiwostoks ausmachen (Kirchenglocken, Kampfflugzeuge, Kanonen, bewegte Eismassen, Chöre, Solisten, Sibirischer Tiger usw.), sind nirgends in dieser Stadt in einem einzigen Areal zum gleichen Zeitpunkt vorhanden bzw. zu versammeln und so aufeinander abzustimmen, wie das für eine Aufführung von Sound of Vladivostok erforderlich wäre. Die Komposition, die den Sound der ›ganzen‹ Stadt erfahrbar machen möchte, ist wie ein Mosaik aufgebaut, das überwiegend aus ›Einzelelementen‹ besteht, von denen jedes eine Dauer von nur wenigen Sekunden hat. Film ist das einzige Medium, mittels dessen die Aufführung des Werks möglich wird, denn durch das Medium Film können alle ›Einzelelemente‹ zusammengebracht und nur so kann die Gesamtkomposition erlebt werden.

 Ich meine damit die Zusammenführung der akustischen und der visuellen ›Einzelelemente‹. Das ist ein entscheidender Aspekt der Polymedialität: Während des Projekt-Realisierungsprozesses war die Filmarbeit Teil des kompositorischen Akts. Das Visuelle zeigt bzw. offenbart, unterstützt oder komplettiert das Klangliche und umgekehrt. Entweder wird das Bild auf diegetische Weise – das heißt im Sinne einer Erörterung – eingesetzt, um die Klangquelle in dramaturgischer Art und Weise sichtbar machen zu können, oder das Bild wird in nicht-diegetischer Art und Weise eingesetzt. Ist letzteres der Fall, so wirken beide Medien – Musik und Bild – symbolhaft, assoziativ, interaktiv oder sogar auch jedes für sich allein.

Der Faktor Raum vermittelt sich bei Sound of Vladivostok durch das immersive Tonformat Dolby Atmos, das ein außergewöhnliches Hör-Erlebnis ermöglicht (es setzt auf objektorientierte Audiokodierung).
Für die Kinopremiere im »Cinema Vladivostok«, Ende Dezember 2017, wurden die 153 Musikspuren in den Londoner Studios von Dolby Europe sowie im Mosfilm Dolby Atmos Premier Studio in Moskau gemischt, so dass bei der Filmvorführung der Klang in all seiner Klarheit, Fülle, Detailgenauigkeit und Tiefe wahrzunehmen war, aus allen Richtungen kommend. Der Klang erfüllte den gesamten Kinoraum.

 

Die Dimension der Inszenierung

Die Inszenierung, das Ergebnis offenbart, dass die Komposition Sound of Vladivostok ein dynamisches Wechselspiel von Klang/Musik und weiteren Kunstformen und Medien ist.

Für die Aufführung eines anderen Werks – die Multimediasinfonie autosymphonic (2011) – konnte der Mannheimer Open-Air-Veranstaltungsort (der neobarocke Friedrichplatz mit dem Wasserturm) aufgrund der Symmetrie und Geschlossenheit der Platzanlage wie ein Amphitheater genutzt werden. Die architektonische Anlage bildete eine räumlich übergreifende Einheit im intermedialen Kontext, wobei sich ein interessantes Spannungsverhältnis zwischen akustischer und visueller Ebene ergab.
Ein ähnliches Konzept wurde umgesetzt beim Ulmer Oratorium (2013/14), das speziell für den höchsten Kirchturm der Welt und den Ulmer Münsterplatz inklusive Glockenraum und Münsterbauhütte geschrieben wurde, oder bei der Aufführung der Oper Die Jagd (2008), deren Inszenierung die Staatsoper Stuttgart in einem zweistöckigen Autohaus realisierte.

 

Einige ästhetische Konsequenzen

»Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile«, so Aristoteles. Er differenzierte zwischen der Summe (zu der die Teile lediglich zusammenaddiert werden) und dem Ganzen, in das die Teile integriert sind. In Sound of Vladivostok sind im Hinblick auf die Filmkunst bzw. durch die Verbindung von Ton- und Filmkunst zu einer Gesamtkomposition einige ästhetische Qualitäten entstanden, die das komplexe, heterogene Beziehungsgeflecht der Elemente dieses Film-Kompositionswerks ausmachen. Darin besteht hier die Ganzheit im aristotelischen Sinne.

Mehr als 350 Musiker nahmen an der Realisation teil – darunter auch ein Theremin-Spieler (Ururenkel des Erfinders dieses Instruments), Balalaikas, ein Rapper, acht Dirigenten und dreizehn Musikgruppen (u. a. ein Sinfonieorchester, das militärische Blasorchester, zwei Schlagzeugensembles, ein Glockenquartett und Chöre). Außerdem wurden aufgezeichnete Sounds, die repräsentativ für den unikalen Klangcharakter der Stadt sind, harmonisch in die Komposition integriert – Sounds des »Warjag«-Kreuzers, von Kampfflugzeugen, von Kanonen, des Sibirischen Tigers oder des Eises an den Stellen, wo das Japanische Meer zugefroren war. Die ursprünglichen Sounds der Kampfflugzeuge, der Schiffe der Marineflotte und historischer Kanonen wurden allerdings bearbeitet und durch ihre ›Musikalisierung‹ für die Wladiwostoker Stadtsinfonie ästhetisiert.

Polyästhetik entsteht während polymedialen Materialeinsatzes, der systematisch intendiert wird und für den künstlerischen Prozess konstitutiv ist.
Hybridität ist ein zentraler Aspekt des Konzepts der Polymedialität.
Allerdings ist Hybridität hier grundsätzlich nicht genreübergreifend zu verstehen, sondern Hybridität bezieht sich auf originelle Anwendungen und verweist auf ein breites Spektrum von Hybridisierungsprozessen schon innerhalb eines Kunstgenres (z. B. in der Tonkunst).

 Ein diesbezügliches Beispiel stellt der heterogene Inhalt der Einführungssequenz von Sound of Vladivostok dar. In den ersten 25 Sekunden des Films sind eine Chorsequenz und folgende Klänge zu vernehmen:

1.   ein Schiffshorn (aufgenommen in der Nähe der pazifischen Flottenbasis),
2.  Stimmen während der Kommunikation zwischen einem Schiffskapitän und einem Angestellten der Hafenbehörde über Funk (aufgenommen auf dem Cholodilnik, der höchsten Erhebung im Stadtgebiet von Wladiwostok),
3.  ein großer Chor, der das Wladiwostok-Thema singt (aufgenommen auf dem Russki, einer Insel vor Wladiwostok),
4.  die Kirchenglocken der Stadtkathedrale, gespielt von 4 Glöcknern,
5.  das Nebelhorn des Tokarevsky-Leuchtturms, 
6.  das elektrische Spannungsbrummen des defekten, flackernden Lichts des Buchstabens A in der Leuchtschrift über dem Eingang des Wladiwostoker Zentralbahnhofs und
7.   ein rhythmisch sprechender Kinderchor (aufgenommen in einer ehemaligen sowjetischen Musikschule im Stadtzentrum)

Die Einführungssequenz endet mit einem elektronischen Basston (Resultat der elektronischen Bearbeitung einer vom Adlerhorstberg stammenden Tonaufnahme, bei der zu dieser Zeit hörbare Klänge aufgezeichnet wurden). Mit dem Basston erfolgt die Überleitung zur zweiten (der tigerfokussierten) Sequenz.

In dieser Art und Weise wurden musikalische bzw. Klang-›Streifzüge‹ möglich bzw. produziert. Sie leben von der Spannung, die sich aus der Mischung von Bekanntem und Unbekanntem ergibt – in diesem Fall aus der Mischung von akustischen Klassik-, Sakral- und Alltags- bzw. Stadt-Elementen oder aus der Mischung von unkonventionellen ›Instrumenten‹-Sounds (wie die der Kanonen es sind) mit Sounds traditioneller Klangkörper (wie denen des Chorgesangs). Alles das ist Wladiwostok. Alle diese Elemente sind repräsentativ für die dortigen kontrastierenden Gegebenheiten und deren Haupteigenschaften: Euphonie und Kakophonie, Harmonie und Disharmonie, Ton und Lärm, Funktionalität und Nichtfunktionalität, Kälte und Wärme, Härte und Geschmeidigkeit. Die erwähnten Kontrastelemente spiegeln Vergangenheit und Gegenwart Wladiwostoks und verweisen gleichzeitig auf die Zukunft dieser Stadt.

Sound of Vladivostok ist ein origineller ›akustischer Fingerabdruck‹; die russischen Medien bezeichneten das Werk als »die neue Hymne der Stadt«. Es entstand allerdings nicht einfach eine ›Blaupause‹ all dessen, was vor Ort hörbar ist, sondern das Material wurde aufwendig entwickelt und bearbeitet. Interpretatorisch betrachtet, existiert das Werk als ein (akustisch-visueller) Code, durch den der Zuhörer/Zuschauer einen Zugang zu Wladiwostok bekommt. Ein Gesamtgefüge aus vielen Komponenten, so, wie Codes des Öfteren Buchstaben-Zahlen-Kombinationen sind. Sound of Vladivostok ist eine Klang-Bild-Kombination.

 

Bedeutung und Relevanz des partizipatorischen Aspekts des Konzepts der Polymedialität

Keines der Projekte, die auf dem Konzept der Polymedialität beruhen, ist für den ›Elfenbeinturm eines Künstlers‹ gemacht. Sound of Vladivostok ist ein beeindruckendes Beispiel für Publikumsrelevanz.

Es war nicht nur eine große Anzahl Mitwirkender an der Realisierung dieses Projekts beteiligt, sondern das Ergebnis wurde außerdem in diversen Veranstaltungsformaten einem breiten Publikum als polymediale Erlebnismöglichkeit präsentiert. Allein in Wladiwostok fanden innerhalb von zwei Wochen und in unterschiedlichsten Räumlichkeiten zehn Aufführungen statt: im modernen Lichtspieltheater und in der Philharmonie der Stadt, im Zarya Zentrum für Zeitgenössische Kunst und im Puschkin Theater, in der Stadtbibliothek und im »Contrabanda« Club.

Das ließ sehr deutlich werden: Die Ermöglichung ästhetischer Erfahrungen durch Musik bzw. Sound (noch dazu in der spannenden Vereinigung mit Filmbildern und das an bestimmten Veranstaltungsorten, deren Architektur bereits während der Entstehung des Werks mitbedacht wurde), die Forderung nach derartigen Erlebnismöglichkeiten und die Förderung solcher Projekte werden genauso Teil der postkompositorischen Tätigkeit wie auch die Erweiterung der reflektiven Ebene, die aus der Sinnhaftigkeit des Kunstwerks resultiert wie auch daraus, dass das Publikum eine immense Fülle von akustischen und visuellen Sinneseindrücken hat.

 Angenommen, wir würden in einer Zeit leben, in der es bei Polymedialität-Projekten um die antike Methode des Triviums ginge, dann würde die postkompositorische Phase die ars bene dicendi beinhalten – die Rhetorik. Diese Ebene verleiht dem Werk eine additive, poetische Qualität, und sie trägt zur Formung seiner Polyästhetik bei.

Polyästhetik wird sowohl mit dem Begriff Polymedialität als auch mit solchen in der Musik verwendeten Termini wie Polyphonie, Polyrhythmik oder Polytonalität in Verbindung gebracht. Der Polyästhetik messe ich im kompositorischen Kontext Bedeutung bei in Bezug auf die Sinnhaftigkeit, auf den Werk i n h a l t, aber nicht in Bezug auf die Sinneswahrnehmung bzw. in Bezug auf die Rezeption des Werks.

Durch die Verwendung des Präfix’ »poly« findet ein Paradigmenwechsel statt: Angestrebt wird nicht ein quantitatives ›Viel‹, sondern – wie bereits weiter oben schon erwähnt – das qualitative ›Mehr‹ im aristotelischen Sinne. Demzufolge bezeichnet Polymedialität in diesem Kontext weniger die Anzahl der einbezogenen Medien als die Tatsache des sinnstiftenden Einsatzes der Musik und des Zusammenwirkens der Musik mit anderen Medien bzw. die Tatsache der sinnvollen Wechselbeziehung der Musik und anderer Kunstgenres. Es kommt zu einer synthetischen Interaktion zwischen Musik, anderen Sounds und weiteren Medien (beim Einsatz von Film, bei Musiktheater- und Opernaufführungen), also zu einer Interaktion, die dem Werk eine ›polymorphe‹ Musikästhetik verleiht – eben die Polyästhetik. Trotz Heterogenität und Verschmelzung bewahrt hier jedes Medien-Element die ihm immanente Identität. 

 

Die Zukunft

Im Moment laufen die Vorbereitungen für die Realisierung des Projekts Sound of Kyoto. Auch wenn das gleiche Konzept einer Stadtsinfonie für Orte in anderen Ländern entwickelt und an diesen Orten realisiert wird (wie derzeit für Kyoto in Japan), bleibt jede einzelne Realisation des Projekts unikal – denn jede Stadt ist einzigartig und hat ihren ganz eigenen Sound. Das macht die Identität einer jeden Stadt aus – eine faszinierende Inspirationsquelle, die zu einer Reihe von Kompositionen führt. Diese werden von den lokalen Musikern und Musikensembles aufgeführt.

Durch die Erschaffung eines holistischen Gefüges all dieser miteinander harmonierenden Einzelelemente (das heißt a) die diversen Sounds, b) die Musikstücke, die mehrmals, mit immer wieder anderer Besetzung gespielt werden, und c) die filmische Darstellung bzw. die inszenierte Musik- und Klangaufführung) wird es möglich, die individuelle Klang-Identität einer jeden Stadt zu kreieren. Die Filmvorführungen bzw. die Aufführungen des Werks finden an unterschiedlichen Orten und damit zugleich in unterschiedlichen architektonischen Situationen statt. Aufführungen sind sogar außerhalb der Stadt, außerhalb von Ortschaften möglich, unter freiem Himmel, in Landschaften, in denen keinerlei Bebauung vorhanden ist. Die ›Stimmen einer Stadt‹ werden quasi ›in die Natur gebracht‹. Anders formuliert, Stadt und Natur – wie vergleichsweise Mensch und Maschine – befinden sich in fruchtbarer Wechselwirkung, auch wenn diese teilweise antithetisch ist. In dem Zusammenhang wäre das Experiment zu wagen, diese ›Stadt-Stimmen‹ im Beisein des Publikums der ›wilden Natur auszusetzen‹. Solche Unternehmungen sind ungewöhnlich und spannend, die Neugier, das Interesse an weiteren Sinn- und Sinneserfahrungen wird geweckt.

All das verdeutlicht: Das Konzept der Polymedialität ermöglicht einen situativ offenen Rahmen, und so etwas birgt in sich stets Erneuerungs- bzw. Hybridisierungspotential.

Unter diesem Gesichtspunkt stellt das abwandelbare Aufführungskonzept einer jeden solchen Stadtsinfonie eine ästhetische Konsequenz dar, die dem Werk zusätzliche Qualitäten verleiht.

Polymedialität bringt Menschen zusammen. Sie ist ein Ereignis, an dem jeder Einzelne teilhat. Und – um noch einmal auf Aristoteles’ Gedanken zurückzukommen, nach dem das Ganze mehr ist als nur die Summe seiner Teile – es lässt sich schlussfolgern: Polymedialität erzeugt dieses ›Mehr‹. Mit jedem Sound erweitert sich das Klangvolumen, die Hybridität. Jeder Projektteilnehmer bringt etwas ein und verlässt den Aufführungsort innerlich bereichert.

 

Juni 2019

Dieser Artikel basiert auf einem Vortrag zum Konzept der Polymedialität, mit dem Marios Joannou Elia die Gesprächsreihe »Artist’s Corner« beim »Hellas Filmbox Berlin« Festival, zu Gast bei Asteris Kutulas, am 27. Januar 2018, eröffnete. An dieser Stelle ausdrücklichen Dank an Ina Kutulas für die engagierte Durchsicht dieses Texts.

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